Die Stimme der Stadt
Die Stimme der Stadt sammelt Erzählungen der Bürger und implantiert diese Geschichten in das Herz der Stadt - dem Ratssaal. Die erlebten Geschichten reanimieren die Ur-Idee des Architekten Arne Jacobsen: Er baute das komplette Rathaus als visionäre Architektur mit einem demokratischen Herz, welche die Vermittlung und Visualisierung von Transparenz und Mitsprache an urbanen Prozessen zum Anspruch hatte.
Mit einem mobilen Tonstudio, der Story Box, tourte das Team von „mythen der moderne“ im Sommer für das Kunstprojekt DIE STIMME DER STADT durch die Stadtteile Castrop-Rauxels und sammelte persönliche Erzählungen und Anekdoten ein. Über 100 Bürger gaben ihre Stimme ab, und nun implantiert DIE STIMME DER STADT die Erzählungen der Bürger in das Herz der Stadt, in den Ratssaal am Europaplatz.
Am Sonntag, 30. September sind sie dort von 15:00 bis 20:00 Uhr in einer Theater- und Musikperformance zu hören.
Die Vision, den Ratssaal zu einer Bühne zu machen, kam der Künstlerin Pia Janssen und der Schriftstellerin Bettina Erasmy bei einer Recherchereise zur Ruhrmoderne-Architektur. Die Stimmen der Bürger hörbar im Zentrum der politischen Macht, das würde die Ur-Idee des weltberühmten dänischen Architekten Arne Jacobsen reanimieren: Mit seiner Architektur lud er die Bürger in Castrop-Rauxel ein, am demokratischen Prozess teilzuhaben. Er baute den Ratssaal mit transparenten Glaswänden, die sich zum Europaplatz hin öffnen.
In der Inszenierung von Janssen und Erasmy mit neun Schauspielern, Tänzern und Sängern (von neun bis 75 Jahre alt) und in der Klanginstallation aus Geräuschen der Stadt des Komponisten und Musikers Hannes Strobl werden die Erzählungen lebendig. Zusätzlich wird der Komponist Michael Emanuel Bauer mit drei Chören aus Castrop-Rauxel und Bochum den Raum des Ratssaales mit einer Klangkomposition aus ihrem Liedrepertoire erkunden.
Wie an einem Tag der offenen Tür ist der Ratssaal frei zugänglich und - von diesem Treiben unabhängig - werden unaufhörlich die Stimmen und Geschichten der Stadt zu hören sein. Während der Besucher im Ratssaal zuhörend verweilt, nimmt er den Ratssaal als Gesamtkunstwerk wahr. Das Erleben dieser hohen architektonischen Qualität, sowohl der Baustoffe wie auch der Verarbeitung, ist heute für öffentliche Gebäude kaum mehr denkbar. Dieses Zeugnis einer architektonischen Vision verknüpft sich mit den Erzählungen der Bürger. Der Besucher wird sich in einem Resonanzraum wiederfinden, in dem Sprache, Text, Musik und Klang zur Spurenlese einer Stadt werden.
Die Besucher können kommen und gehen, wann sie wollen, in den Sesseln des Ratssaals sitzen, die Gänge um den Saal herum erkunden, auf dem Europaplatz vor dem Saal einen Imbiss nehmen oder einfach den O-Tönen der Bürger (anonym) lauschen. Geschichten und Musik wechseln einander ab und werden immer wieder neu kombiniert. Das Konzept der Inszenierung, angeregt von dem amerikanischen Komponisten John Cage, baut auf einer Improvisation mit festen Regeln auf.
Künstlerische Leitung
Pia Janssen
Projektleitung
Jolande Kirschbaum
Autorin und Dramaturgie
Bettina Erasmy
Musikalische Leitung
Michael Emanuel Bauer und Hannes Strobl
Choreografie
Francesca Best
„Castrop-Rauxel? Meine Heimat, meine Stadt. Hier bin ich geboren, hier will ich kaputtgehen.“
- ein Text von Susanne Leinemann
Heute darf hier jeder sprechen, wird jeder zu hören sein- im gläsernen Ratssaal, diesem eindrücklichen Ort der Nachkriegsmoderne, mit Blick auf Europa- und Stadthalle. Normalerweise tagt hier der Stadtrat, streiten sich Lokalpolitiker. Aber jetzt reden andere, jetzt reden die Bürger der Stadt. Der italienische Eisverkäufer, der Entrümpler, die arbeitende Mutter mit schulpflichtigen Kindern, der Kumpel von der Zeche, der umschulen musste. Und sie alle sprechen darüber, wie sich die Stadt verändert hat, was sie früher war, was sie heute bedeutet.
Aufgenommen wurden ihre „Stimmen der Stadt“ im Sommer 2018, als die Story Box - ein rollendes Mini-Aufnahmestudio - an verschiedenen Orten in Castrop-Rauxel Station machte. Nun tragen acht Schauspieler Passagen daraus vor, erzählen von den Zechenhäusern, den optimistischen 50er Jahre, den vielen Cafés damals in der Stadt, den türkischen Gastarbeitern, dem Wandel, dem Zechensterben, dem Zusammenhalt, den Pommes Buden und Shisha-Bars, den Parallelgesellschaften, der Überalterung, den Ängsten und immer wieder von der selbstbewussten Liebe zur Stadt. „Weils hier halt auch mal ne Schippe weit ruhiger ist als überall.“
Der Ratssaal, er wird an diesem Tag zur Bühne für alle. Verstärkt wird dieser Eindruck durch Klanginstallationen mit Geräuschen aus der Stadt, drei Chören vor Ort, Sängern und Tänzern. Sie gemeinsam machen die Architektur des Dänen Arne Jacobsen, der dieses radikal modernes Rathaus mit Stadthalle auf der grünen Wiese plante, lebendig, bringen die Bürger hinein. Fünf Stunden ist hier alles offen, jeder kann kommen und gehen wann er möchte, reinhören, sich reinsetzen, aufstehen, umherwandeln. Zuhören und sich treiben lassen.
Nicht jedes Bild, das man von der Stadt entworfen kriegt, ist schön. Manches stimmt traurig, anderes irritiert. Aber was alle ein eint, ist ein ganz eigenes raues Heimatgefühl, das nichts mit falschem Idyll zu tun hat. „Kein Rumgeschwurbel, sondern klare Kante“ - dafür liebt man sein Castrop-Rauxel.